Zweites Jahrestreffen des AK Agri-Food Geographies

Zweites Jahrestreffen des AK Agri-Food Geographies

Zweites Jahrestreffen des AK Agri-Food Geographies

23.-25. März 2023 an der Universität Hohenheim (hybrid)

Die zweite Jahrestagung des Arbeitskreises Agri-Food Geographies wurde vom 23.-25. März 2023 an der Universität Hohenheim in Kooperation mit dem Lehrstuhl für “Societal Transition & Agriculture” ausgerichtet. Es nahmen insgesamt 116 Personen aktiv Teil, davon 66 in Präsenz und 50 digital. Neben Geograph*innen waren Wissenschaftler*innen verschiedenster Fachdisziplinen sowie alle Statusgruppen und auch Praktiker*innen vertreten. Durch eine großzügige Förderung durch die Stiftung Fiat Panis wurde es zudem möglich, mit Dr. Elena Lazos (Mexiko) und Dr. Alexander Panez (Chile) zwei Gäste aus dem Globalen Süden, einzuladen. Die beiden Keynote-Vorträge von Prof. Dr. Damian Maye (University of Gloucestershire) und Prof. Dr. Marit Rosol (Universität Würzburg) eröffneten und rundeten das umfangreiche wissenschaftliche Vortragsprogramm ab. Daneben gab es eine Reihe an interaktiven Formaten wie Posterpräsentationen, eine „Schnibbeldisco” sowie eine Campustour zu „alternative food places“.

Teilnehmende der 2. AK Jahrestagung Foto: Anna Struth
Teilnehmende der 2. AK Jahrestagung Foto: Anna Struth

Die Tagung stand in diesem Jahr unter dem Motto: „Wer MACHT unser Essen? Macht und Ohnmacht von Akteuren im Agrar- und Ernährungssystem“. In der derzeitigen Debatte über Transformationen hin zu nachhaltigen und gerechten Agrar- und Ernährungssystemen liegt der Fokus meist auf den vielfältigen lokalen Ansätzen (z.B. Alternative Food Networks), die mit alternativen Anbau- und Vertriebswegen einen Gegenentwurf zum konventionellen Ernährungssystem aufbauen möchten. Diese Initiativen sprechen zwar viele Menschen an, verbleiben jedoch oft in räumlichen und sozioökonomischen Nischen. Deutlich weniger wird der Blick auf das ‚Große Ganze‘ – den Aufbau, die Funktionsweise und die strukturellen Herausforderungen des konventionellen Agrar- und Ernährungssystems gelegt. Vor diesem Hintergrund wurden auf dieser Jahrestagung verschiedenste wirtschaftliche, institutionelle und zivilgesellschaftliche Akteure und deren vielfältige Machtbeziehungen untereinander in globalen und regionalen Agrar- und Ernährungssystemen von den Vortragenden in den Mittelpunkt gestellt. Dabei gingen wir den Ursachen für Ungleichheiten in Bezug auf Macht, Ressourcen und die Arbeits- und Rollenverteilung entlang der Wertschöpfungskette – von der Saatgutherstellung, Produktion, Vermarktung bis hin zu Food Waste – auf den Grund.

Gemeinsames Kochen der Teilnehmenden bei der Schnippeldisco. Foto: Anna Struth

Nach Begrüßungsworten durch Vertreterinnen des Arbeitskreises (Dr. Birgit Hoinle, Prof. Dr. Amelie Bernzen), des Lehrstuhls für Gesellschaftliche Transformation und Landwirtschaft (Prof. Dr. Claudia Bieling, Anna Struth) sowie Dr. Andrea Fadani von der Stiftung Fiat Panis sprach Prof. Dr. Damian Maye in seinem Keynote-Vortrag zu „Food and power in the making: the double movement and new geographies of food“, in dem er die Unterteilung in vier verschiedene Arten von „food geographies“ vorschlug. Mit dem Fallbeispiel zu “Meat power in Mexico” folgte der Beitrag von Dr. Elena Lazos (Universidad Nacional Autónoma de México), die von ihrer aktuellen Forschungsergebnissen zu Ungleichheiten zwischen industriellen und kleinbäuerlichen Fleischproduzenten in Mexiko berichtete. Die Eröffnungssitzung bot weitere Einblicke in die Vielfalt an aktuellen Forschungsthemen zu Landwirtschafts- und Ernährungssystemen: Aus einer kolonialismuskritischen Perspektive referierte Dr. Andrea Fadani (Fiat Panis) über die Rolle von Kaffee in der Landwirtschaft von Kamerun und die Verstrickungen mit dem deutschen Kolonialismus. Dr. Timothy Williams (Vrije Universiteit Amsterdam) stellte die Frage „Who exercises power in European agri-food systems?“ und präsentierte dazu eine Matrix zur Analyse von Akteursnetzwerken. Den Blick auf die globale Perspektive des Themas lenkten anschließend Stefan Ortiz-Przychodzka (Leuphana Universität Lüneburg) mit einer Präsentation zu Bienen-Mensch-Verhältnissen, Biodiversität und diversen Ökonomien im bolivianischen Chiquitania Trockenwald, sowie Dr. Michael Spieß (HNE Eberswald) mit einem Vortrag zu der Bedrohung lokaler Saatgutsysteme am Beispiel von Pakistan und Tadschikistan. Nach dem vielen ’food for thought‘ lud im Anschluss die studentische Initiative FRESH zu einem geselligen Austausch bei einer Schnibbeldisko ein. Hier konnten die Teilnehmenden gemeinsam das Abendessen aus geretteten Lebensmitteln zubereiten und genießen.

Das Programm am Freitag (24.03.2023) startete mit zwei Parallelsessions zum Thema „Global-Local Value Chains“. Die Parallelsessions waren so organisiert, dass jeweils eine Session analog und die andere Session hybrid stattfand. Die erste Session bot Einblicke in die Wertschöpfungsketten verschiedener Getränke, die von kolumbianischem Kaffee (Dr. Xiomara Quiñones-Ruiz, BOKU Vienna), bayrischem Bier (Carola Wilhelm; Prof. Dr. Tobias Chilla, FAU Erlangen-Nürnberg) bis hin zum Thema „identity displacement“ im Falle von Kakao (Gustavo Cruz, University of London) reichten. In der Parallelsession wurde die Wertschöpfungskette in der Fleischindustrie thematisiert, von der Frage nach Futtermitteln wie Soja in Kaschastan (Dr. Henryk Alff, HNE Eberswalde), bis hin zum systemischen Lock-in in der deutschen Fleischproduktion (Miriam Klein, RWTH Aachen) und der Frage nach der Art und Weise der Erforschung von Machtverhältnissen in der Fleischindustrie, die von Danko Simič und Prof. Dr. Ulrich Ermann (Universität Graz) gestellt wurde.

In der Session 3 zu „Power relations in agricultural production“ referierte Kushala Nuwanthi über die Bio-Baumwollproduktion und Geschlechterverhältnisse in Indien, während sich Karlotta Koch (beide Uni Hohenheim) mit Machtverhältnissen im Zertifizierungsprozess von Bio-Produkten befasste. Nach dem Mittagessen luden Anna Struth und Judith Blättler vom studentischen Arbeitskreis Nachhaltigkeit (AKN) zu einer Campus-Tour zu ‚alternative food places‘ durch Hohenheim ein. Dabei lernten die Teilnehmenden Orte und Initiativen nachhaltiger Ernährung in Hohenheim kennen, wie einen studentisch betriebenen Gemeinschaftsgarten auf dem Campusgelände, als auch Foodsharing-Stationen und einen gemeinsamen Holzbackofen.

Postersession. Foto: Anna Struth

Am Nachmittag folgten zwei parallele Sessions, einerseits zu konzeptionellen Ansätzen für die Analyse von Machtverhältnissen in Agri-food-Systemen wie etwa die Food Regime Theory (präsentiert von Nora Faltmann, Uni Innsbruck, am Beispiel der Schweiz) oder „culinary justice“ (Meike Brückner, HU Berlin und Birgit Hoinle, Uni Hohenheim). Parallel dazu diskutierten Nikola Blaschke (Uni Hohenheim), Ipek Gündüz und Ronja Herzberg Ansätze der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, wie etwa „urban food policies“ in der Türkei und  Lebensmittelverschwendung in Deutschland. In den anschließenden Sessions wurde wiederum der Blick stärker auf den Globalen Süden gerichtet. Hierzu trugen u.a. die Präsentationen von Vida Mantey (Uni Hohenheim) zu Machtverhältnissen und der Rolle von Kleinbäuer*innen in Kohlekompensationsprojekten in Kenia bei, wie auch die Präsentation von Alejandra Guzmán (Universidad Cruzana, Mexiko) zur Kolonialität von Macht in der globalen Kaffee-Wertschöpfungskette. In der Poster-Session stellten sechs Vortragende ihre Themen in kurzen Pitches vor, über welche die Teilnehmenden anschließend ins Gespräch kommen konnten, bevor sich alle auf den Weg zum gemeinsamen Get-together in der Café Denkbar machten.

Der Samstag (25.03.2023) war der Frage nach Methoden und transformativen Perspektiven auf Ernährungssysteme gewidmet. In der analogen Session stellten Christine Bosch und Sarah Graf (beide Uni Hohenheim) methodische Ansatzpunkte (u.a. Net-Map) zur Erforschung von Machtbeziehungen in agri-food systems vor. In der parallel stattfindenden Session diskutierten u.a. Louisa Prause (HU Berlin) über „corporate power and food system transformations“ und Susanne Raab und Hannah Müller (Bauhaus-Universität Weimar) über die Aushandlungen eines Rechts auf Nahrung im Kontext lokaler Wohlfahrtsregime am Beispiel des Ernährungsrates Berlin. Abschließend versammelten sich alle Teilnehmenden noch einmal im Katharinensaal für die Präsentation des internationalen Gasts, Dr. Alexander Panez, der zusammen mit Dr. Ilka Roose (HNE Eberswalde) über die neoliberale Ausgestaltung der Agrarpolitik in Chile und die aktuellen Debatten um die dortige Verfassungsreform referierte. Die abschließende Keynote von Prof. Dr. Marit Rosol zur Frage nach der Rolle von „food movements“ zur Transformation des Ernährungssystems spannte einen gelungenen Bogen zurück zum Tagungsschwerpunkt – der Frage nach Machtverhältnissen und Empowerment-Perspektiven im Ernährungssystem.

Insgesamt zeichnete sich die zweitägige Tagung in Hohenheim durch eine sehr internationale Beteiligung und – mitgeprägt durch die interaktiven Formate – einen hohen Grad an Austausch und Vernetzung in einer angenehmen Gruppenatmosphäre aus. Das nächste Jahrestreffen wird voraussichtlich in Würzburg stattfinden, der Termin wird rechtzeitig über die üblichen Kanäle bekannt gegeben.